Ein Blick über den Horizont – Jüdische Friedhöfe im Rhein-Erft-Kreis

Im Herbst dieses Jahres finden in ganz Deutschland die Jüdischen Kulturwochen statt. Der Grund: Vor 1700 Jahren, 321 n. Chr., wurde in einem Dekret des Kaisers Konstantin jüdisches Leben in den römischen Provinzen in Deutschland erstmals nachweislich erwähnt. Ein guter Anlass, sich mit der jüdischen Kulturgeschichte zu beschäftigen.

Im Rhein-Erft-Kreis, in dem ich seit vielen Jahren lebe, gab es 24 jüdische Friedhöfe, von denen allerdings drei nicht mehr existent sind, z.T. wegen des Braunkohletagebaus abgebaggert. Das ist erstaunlich, denn anders als bei christlichen Friedhöfen gehören die Grabstätten den darin liegenden Toten und nicht etwa den Nachfahren. Wem also sollte man die Gräber abkaufen? In Kerpen führte das dazu, dass ein großes Einkaufsviertel, das Erft Karree, um den jüdischen Friedhof herum gebaut worden ist. Offenbar hatte RWE/Rheinbraun eine überwältigende Finanzkraft, mit der man sich über Begräbniskulturen hinwegsetzen konnte.

Die Lage der jüdischen Friedhöfe scheint anzudeuten, wie wenig jüdische Mitbürger*innen in die christliche Gesellschaft integriert waren: Die Begräbnisstätten liegen in der Regel weit außerhalb der Ortschaften. Der jüdische Friedhof von Bergheim-Paffendorf liegt an der Kreisstraße 41 in einem Wäldchen, von der Straße aus kaum zu sehen. Den Friedhof von Fliesteden findet man nur nach längerem Suchen an einem Hang gegenüber der ehemaligen Kläranlage. Der jüdische Friedhof von Erftstadt-Friesheim ist an der Landstraße 162 situiert, von der Straße aus fast nicht auffindbar. Der tatsächliche Grund für diese Abgeschiedenheit liegt an der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz. Danach galten die Toten als unrein, Friedhöfe mussten folglich außerhalb der Ortschaften liegen. Früher gab es neben diesem Friedhof den «Schindanger», dort wurden Tierkadaver gehäutet und verscharrt, um sie vor Aasgeiern zu schützen. Die Beschwerde der jüdischen Gemeinde Friesheim im 19. Jahrhundert wegen des Gestanks wurde, was Wunder, von der christlichen Gemeinde nicht erhört. 

Manche der jüdischen Friedhöfe sind wieder an den Ort herangerückt, oder sagen wir es lieber umgekehrt: Neubaugebiete weiteten sich aus und integrierten die Friedhöfe. Da es nirgendwo Hinweisschilder gab, habe ich regelmäßig Anwohner nach der Lage der Friedhöfe gefragt und genauso regelmäßig nur ein Achselzucken geerntet. 

Wer schon einmal einen jüdischen Friedhof besucht hat, dem sind sicher die kleinen Steinchen aufgefallen, die auf vielen Grabsteinen liegen; sie werden meist von Angehörigen mitgebracht und deponiert, um so den Verstorbenen zu zeigen: Wir waren da! Der historische Hintergrund ist nicht eindeutig: Da die Juden nach der Vertreibung aus Palästina immer wieder den Ort wechseln mussten, begrub man die Toten unterwegs. Mit Steinen deckte man die Gräber ab, um sie vor wilden Tieren zu schützen. Vielleicht dienten die Steine auch als Hinweise, die Gräber wieder zu finden. 

Jüdische Gräber sind in der Regel recht schmucklos, monumentale Grabarchitektur wie die Mausoleen auf Melaten, gibt es nur sehr selten. Warum? Bei einer Führung auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd hat mir ein Rabbi erzählt: Bei uns im Judentum ist die Idee der Gleichheit sehr wichtig – im Tod sind wir alle gleich und wollen nicht durch protzige Bauten auf uns aufmerksam machen. Dazu gehört auch, dass die Toten in ein Leichengewand gekleidet werden, das für alle gleich aussieht. Der Rabbi erzählte weiter: «Manchmal bringen die Angehörigen den Hochzeitsanzug mit, mit der Bitte, ihn darin zu beerdigen. Ich nehme ihn an, kleide ihn aber trotzdem in das übliche Leichengewand und gebe den Anzug in die Altkleidersammlung!».

Den größten jüdischen Friedhof des Rhein-Erft-Kreises findet man in Brühl, 94 Grabsteine (hebräisch Mazewot) gibt es noch. Der Friedhof liegt am Leopold-Bähr-Platz – siehe Foto. Leopold Bähr war ein jüdischer Bürger in Brühl, der in Auschwitz ermordet wurde. Warum Google-Maps den Leopold-Bähr-Platz nicht anzeigt, weiß ich nicht. 

Im Rhein-Erft-Kreis gibt es keine jüdischen Gemeinden mehr. Die letzten Gräber stammen aus dem Jahr 1942. Dann waren die letzten Juden gestorben oder in die Vernichtungslager deportiert worden. Die Synagogengemeinde Köln kümmert sich um die verbliebenen Friedhöfe. Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus wurden die Friedhöfe immer wieder geschändet. Ein bisschen Hoffnung kommt auf, wenn man liest, dass die Verwüstungen oft durch Jugendliche wieder beseitigt wurden.

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