Willy Millowitsch (08.01.1909–20.09.1999)

In Köln über Willy Millowitsch zu schreiben, heißt, Eulen nach Athen zu tragen – jeder (ältere) Kölner, jede Kölnerin kennt ihn, war mal in seinem Theater, hat ihn im Fernsehen oder in der „Lachenden Sporthalle“ gesehen, hat seine Lieder gehört. Er steht in einer Reihe mit Kölner Legenden wie Konrad Adenauer, Kardinal Frings, der Heiligen Ursula, Peter Müller (für die Älteren) oder Lukas Podolski (für die Jüngeren).

Ich hatte das Glück und die Ehre, 1995 bei einer Benefiz-Veranstaltung für die Freien Theater am Tanzbrunnen hinter der Bühne für Millowitsch zuständig zu sein. Er war 86 Jahre alt, schnaufte, war mürrisch, konnte nur noch mit Mühe laufen. Zu seinem Auftritt sollte ich ihn auf die Bühne führen. Kaum hatte der erste Scheinwerfer ihn ins Licht gesetzt, streifte er meinen Arm ab, marschierte springlebendig in die Mitte der Bühne, wuchtete sich auf einen Hocker und schmetterte das rührende „Ich ben ene kölsche Jung, wat willste maache?“

Publikum war sein Lebenselixier. Privat war er nicht immer komisch, eher verschlossen und manchmal grantig, aber kaum tauchten Zuschauer auf, z.B. in der „Alten Opernschänke“ gegenüber seinem Theater nach der Vorstellung, da war er in seinem Element, gab Autogramme, warf Kusshändchen und war für jedes „Verzällscher“ zu haben.

Willy Millowitsch stammte aus einer uralten Theaterdynastie. Mit seinem Urahn Michael Millowitsch (wahrscheinlich damals „Millewitz“) wurde 1792 erstmals ein Puppenspieler erwähnt. Dessen Sohn Franz Andreas spielte mit Stockpuppen an der Deutzer Schiffbrücke, um die Leute zu unterhalten, die auf ein Schiff warteten. Dessen Enkel Wilhelm Josef Millowitsch wandelte das Puppentheater 1895 in ein echtes Menschentheater um: die „Kölner Plattdeutsche Volksbühne“ am Neumarkt.

Das Theater war erfolgreich, hatte aber noch keine dauerhafte Spielstätte. Für Ortskundige ist es spannend, mit dem Finger über den Kölner Stadtplan zu fahren und die Wanderung des Theaters durch die Stadt zu verfolgen: Gertrudenstraße (Gast im „Reichshallen Theater“, später Kabarett „Die Machtwächter“, heute

„Klüngelpütz“), Schildergasse (ehemals „Colosseum Theater“), Apostelnstraße (heute „Gloria Theater“), Severinstraße, Mülheimer Freiheit. Am 16. Oktober 1936 hatte man dann Premiere in der Aachener Str. 5: „Ein Mädchen für alles“ hieß das Stück, mit dem man das Haus eröffnete, in dem das Theater blieb, bis am 25. März 2018 der letzte Vorhang fiel.

Eigentlich wollte Willy gar nicht Schauspieler werden. Sein Vater Peter warf einen übergroßen Schatten, Willy übernahm nur kleine Rollen und war so eine Art Mädchen für alles im Theater. Eines Tages war sein Vater erkrankt, Willy musste seine Rolle übernehmen. Was dann passierte, glaubt heute kein Mensch mehr:

Also setzte er sich die bekannte Tünnes-Perücke und Knollnase auf, ging auf die Bühne und spielte. Das Publikum war reichlich verwirrt und zum Teil vielleicht verärgert – hatten sie doch ihren Peter erwartet. Aus Enttäuschung mussten sie dann angefangen haben, ihn auszubuhen. Das kann sich heute sicher kein Millowitsch-Fan mehr vorstellen.“

Millowitsch-Fanpage

So zu lesen auf der Millowitsch-Fanpage. Übrigens: Um Vater Peters Geburtsort wurde immer ein Geheimnis gemacht, erst Willys Sohn Peter, der letzte Theaterleiter, gab zu: Düsseldorf!

Natürlich änderte sich Willys Bedeutung, vor allem als er 1940 die Leitung des Theaters übernahm, später zusammen mit seiner Schwester Lucy – siehe den Artikel in diesem Newsletter. Nach dem Krieg konnte man bald wieder spielen. Das Haus an der Aachener Straße hatte nur wenige Bombenschäden und der alte und neue OB Konrad Adenauer sorgte für Heizmaterial: „De Lück müsse jet ze lache han!“ Es ging eine Zeitlang gut, irgendwann aber erlahmte das Publikumsinteresse. Die Rettung aber nahte: Das junge Fernsehen! Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) übertrug am 27. Oktober 1953 das Stück „Der Etappenhase“ live – eine Sensation! Mehr als 100 Inszenierungen wurde im Fernsehen übertragen, mit Einschaltquoten bis zu 88%!

Von da an war der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Willy im Fernsehen, Willy im Karneval, Willy auf der Bühne, die Ehrungen häuften sich: sein Denkmal auf „seinem“ Platz an der Apostelnstraße, Großes Bundesverdienstkreuz, die „Höhner“ widmeten ihm einen Song „Willy, wat wör Kölle ohne dich“. Gelegentlich ging eine Ehrung auch mal daneben: 2002 wurde ein Platz nah des Theaters nach ihm benannt, es war der Hintereingang des „Steigenberger Hotels, da, wo die Taxen warten und die Müllcontainer stehen. Ein unwürdiger Ort. Was war geschehen? Man kann nur mutmaßen.

Willys Verhältnis zur Stadt Köln war, sagen wir es vorsichtig: ambivalent. Er regte sich immer wieder darüber auf, dass er keine städtische Förderung für sein Theater erhielt. Die Stadt sagte: Eine Komödie muss sich rechnen, wir unterstützen nur Theater, die aus eigener Kraft nicht leben könnten. Wer Willy jemals sauer erlebt hat, der ahnt, wie Kölner Kulturpolitiker*innen sich gefühlt haben müssen. War die Platzwahl vielleicht die späte Rache? Nun gut, heute schmückt sich ein attraktiverer Platz mit seinem Namen.

Millowitsch hatte mit seiner Frau Gerda vier Kinder: Katharina, Peter, Susanne und Mariele. Katharina hatte ebenfalls ein Faible fürs Theater, sie gründete mit anderen zusammen auf der anderen Straßenseite 1983 das „Theater im Bauturm“, hat aber hauptberuflich zeitlebens als Lehrerin gearbeitet. Susanne ist Buchhändlerin, Peter wurde Schauspieler und Willys Nachfolger. Mariele, heute beliebte TV-Schauspielerin, hatte als junges Mädchen im väterlichen Theater 1978 in dem Stück „Et fussich Julchen“ frühen Erfolg. Vielen Zuschauern galt sie als die geborene Nachfolgerin ihres Vaters, der aber, in alter patriarchalischer Tradition, seinen Sohn inthronisierte. Nachdem es nur noch einen einzigen dynastischen Nachfolger mit Namen „Millowitsch“ gab, der aber als Ingenieur in Asien lebt, musste Peter Millowitsch schweren Herzens das Theater für immer schließen. Die letzte Inszenierung hieß: „Wer weiß, wofür et jot es“.

Über Millowitschs Beerdigung 1999 zeigte der WDR einen anrührenden Film, in dem auch der Höhner-Song „Willy, wat wör Kölle ohne dich“ zu hören ist. Der Abschied hatte die Ausmaße eines Staatsbegräbnisses: Millowitsch wurde im offenen Sarg in seinem Theater aufgebahrt, bei einem Requiem im Kölner Dom feierte die Familie mit dem Oberbürgermeister Norbert Burger und der Stadtprominenz Abschied, dann fuhr der Corso der schwarzen Limousinen mit dem Leichenwagen an der Spitze zum Melatenfriedhof, die Straßen gesäumt von Tausenden Kölner*innen. Vor dem Millowitsch-Theater hielt man einige Minuten an, um den Beifall der Menschen entgegenzunehmen. Es ist sicher kein Zufall, dass die Beerdigung von Christoph Kuckelkorn organisiert wurde, seines Zeichens Beerdigungsunternehmer und Chef- Karnevalist in einer Person.

Vielleicht überlebt der Name Millowitsch ja im gleichnamigen Café, das sich der Familientradition verpflichtet fühlt – hoffen wir, dass dieser Betrieb die Corona-Krise übersteht!

Grabstätte: Flur 72A

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