Heribert Calleen (Geb. 6.3.1924, gest. 24.11.2017)

Eine klassische Grabinschrift beinhaltet Geburts- und Todesdatum, gelegentlich den Ort dazu. Wenn man den Toten oder die Tote nicht kennt, erzählt ein solcher Grabstein nicht mehr, die Geschichte bleibt im Dunkeln.

Beim Grabstein von Heribert Calleen ist das anders. Auf der Grabstele liegen Steine – typisch für die jüdische Beerdigungskultur. Calleen wurde 1924 geboren, in Köln, und ist 2017 gestorben, ebenfalls in Köln. Das deutet darauf hin, dass er den Nationalsozialismus in Köln überstanden hat – war er vielleicht kein Jude? Der erste Name auf dem Stein ist „Salomon Cahn“, ein traditioneller jüdischer Name. „Cahn“ könnte sich von „Cohen“ ableiten, das ist hebräisch und weist auf die Bezeichnung eines Priesters hin.

Zentral auf dem Grabstein ist ein komplexes Symbol zu sehen. Der Künstler hat das christliche Kreuz, den jüdischen Davidstern und ein Hexagon ineinander verwoben. Ein Hexagon besteht aus sechs gleichseitigen Dreiecken, sie werden in der christlich-jüdischen Ikonographie mitunter mit dem Sechstagewerk der Schöpfung verbunden.

All das ist zunächst Spekulation, erzählt aber immerhin eine mögliche Geschichte. Fragen wir doch den Bildhauer, der diesen Grabstein entworfen hat: Georg Krautkrämer.

In der Tat, sagt er, die Geschichte der Familie ist kompliziert. Heribert Calleen, der einzige aus der Familie, der an diesem Ort beerdigt ist, hatte eine katholische Mutter und einen jüdischen Vater. Die Nazis hatten Calleens Mutter gedrängt, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, sie lehnte ab. Der Vater wurde noch kurz vor Kriegsende, am 15.1.1945, deportiert und ermordet. Ein Stolperstein in Köln-Porz erinnert an ihn. Die Mutter brachte die Kinder irgendwie durch die dunkle Zeit. Die Spur von Josef Cahn verlor sich in den Nachkriegswirren. Eugen wanderte in die USA aus und nahm den Namen „Callen“ an.

Heribert Calleen wurde in der frühen Nachkriegszeit Steinmetz, ausgebildet an der Kölner Dombauhütte; an den Kölner Werkschulen studierte er Bildhauerei. Durch seinen Lehrer Ludwig Gies, dessen Grabmal ebenfalls auf Melaten zu finden ist, wurde er in die Kunst des Reliefs und der gestalteten Schriftzeichen eingeführt. Eine herausragende Arbeit können wir gleich am Beginn der „Millionenallee“ auf Melaten betrachten: Das Denkmal für Adolf Clarenbach und Peter von Fliesteden (siehe Foto), die 1529 auf Melaten als Protestanten hingerichtet worden waren.

Calleen hat sich an vielen Stellen auf Melaten und in der Stadt Köln verewigt. An der Gestaltung des großen Grabsteins des Malers, Zeichners und Grafikers Georg Meistermann, dessen Tochter Donata er geheiratet hatte, war er beteiligt. Auf dem Börsenplatz steht eine Brunnenskulptur von ihm, im Volksmund auch „Schaschlikbrunnen“ genannt (siehe Foto, man ahnt, wie es zu diesem Spitznamen kam…). In der Wörthstraße sieht man an der Wand eines Privathauses fünf Skulpturen, die Musiker*innen darstellen (siehe Foto). Und am Kölner Rathausturm sehen wir mehrere von ihm gestaltete Figuren, darunter Agrippina d. J., Gustav von Mevissen und andere. An einigen dieser Figuren hat auch Georg Krautkrämer mitgearbeitet. Das sind nur wenige Beispiele des großen Werkes von Heribert Calleen.

Calleen war von 1954 bis 1987 Grabmalberater bei der Grabgestaltung auf Melaten der Friedhofsverwaltung. Sein Anliegen war es, die Qualität zu erhöhen, wie Georg Krautkrämer berichtet. Zwei Jahre vor seinem Tod stiftete Calleen den „Alternativen Georg-Meistermann-Preis“. Er wurde verliehen an den Künstler und Kunsthistoriker Norbert Küpper „für seine Aufklärungsarbeiten über den völkischen Künstler Hanns Scherl und dessen ‚biografische NS-Verleugnungen‘ in der Stadt Wittlich“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Heribert_Calleen)

An dieser Stelle öffnet sich eine neue Geschichte, die des „Georg-Meistermann-Museums“ in Wittlich. Es würde zu weit führen, sie hier zu erzählen, aber lesenswert ist ein Wikipedia-Artikel über die Auseinandersetzung, die im Endergebnis dazu führte, dass die Meistermann- Erbengemeinschaft ihren Namen zurückzog; das Museum heißt seit 2009 „Altes Rathaus – Städtische Galerie für moderne Kunst“ – seit 2015 „Städtische Galerie im Alten Rathaus“. Es ist eine typische Nachkriegsgeschichte, in der es um die Verleugnung der NS-Vergangenheit eines Künstlers geht (Hanns Scherl), während Georg Meistermann dem NS- Regime sehr kritisch gegenüberstand. Die Darstellung des Kunsthistorikers Norbert Küpper lässt sich hier nachlesen – ein historisch-politisch-künstlerischer Krimi!

Die Lage des Calleen-Grabes, Lit C, Nr. 491, ist bewusst gewählt, so Krautkrämer: Man wollte die Nähe zur Friedhofsverwaltung, die hinter der im Bild sichtbaren Mauer liegt; hier hatte Calleen mehr als 30 Jahre gearbeitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert