Jakie Liebezeit (Schlagzeug) und Holger Czukay (Bass) waren Musiker der deutschen Gruppe „The Can“, später nur „Can“. Was für eine Gruppe? Rock? Pop? Jazz? Schwer zu sagen. Sie selbst lehnten es ab, als Rockband bezeichnet zu werden. Avantgardistisch waren sie in jedem Fall, Free Jazz, Psychedelic Rock, aber auch Elemente der Neuen Musik spielten eine Rolle – Holger Czukay und der Keyboarder Irmin Schmidt hatten bei Karlheinz Stockhausen in Köln studiert.
Die Originaliät der Gruppe zeigte sich unter anderem daran, dass sie 1971 in ein ehemaliges Kino in Weilerswist bei Köln einzogen, dort ein Tonstudio mit 1.500 ausgedienten Bundeswehrmatratzen ausstatteten, um einen trockeneren Sound zu schaffen. Bekannt wurde „Can“ durch Filmmusiken, z.B. für Tom Toelles Fernsehfilm „Das Millionenspiel“, die Durbridge- Krimiserie „Das Messer“ oder den Tatort „Tote Taube in der Beethovenstraße“ von Samuel Fuller.
In Deutschland hielt sich der Erfolg von „Can“ in Grenzen, allerdings machten sie sich neben „Kraftwerk“, den „Einstürzenden Neubauten“ und den „Scorpions“ einen Namen als innovative Band. Im Ausland waren sie fast noch bekannter: 2015 wurde das Album „Future Days“ auf Platz 8 der besten Progressive-Rock-Alben aller Zeiten gewählt. Auch die Beatles verehrten die deutsche Kultband.
„Can“ hatte im Laufe der Jahre sehr unterschiedliche Besetzungen, die Musiker kamen und gingen. Alle spielten ihren Stil, gelegentlich wild durcheinander. »Dann bestand Jaki, der so etwas wie unser Trainer war, darauf, dass alle sich reduzierten. So entstand dann plötzlich ein gemeinsamer Sound. Alles, was nicht einen Bombenrhythmus hatte, wurde sofort den Löschköpfen zum Fraß vorgeworfen«, sagt Holger Czukay, zitiert von Zeit Online am Tag nach Liebezeits Tod.
Navid Kermani, auf dessen Nachruf auf seinen Vater Djavad wir weiter unten in diesem Newsletter hinweisen, war 20 Jahre lang Liebezeits Nachbar in Köln. Er hat am 6. Februar 2017 bei der Trauerfeier auf Melaten eine Rede gehalten, die in der Zeit dokumentiert ist. Er erinnert sich daran, dass Liebezeit ein wortkarger, aber sehr vielsagender Mensch war:
Dennoch redeten wir, wann immer wir uns trafen, wir begrüßten uns und fragten mindestens, wie es geht, wechselten ein paar Sätze, die zwanzig Jahre lang freundlich waren. Und das Erstaunliche, ja Unfassbare war, dass er wenig sagte und ich dennoch viel verstand. Genau dies: Das Verhältnis von Worten, Gesten, mimischen Andeutungen, klanglichen Varianten, Stimme heben, Stimme senken, dieses bei ihm unglaublich reduzierte, regelrecht karge Instrumentarium von Ausdrucksweisen stand im diametralen Verhältnis zur Fülle an Bedeutungen. Ich glaube, jeder, der ihn trommeln gehört hat, zumal in den letzten Jahren, stimmt mir zu, dass es bei seiner Musik genauso war, die Mittel so wenig, die Bedeutungen so viel.
Navid Kermani
Seine Musik reduzierte sich zunehmend auf Wiederholungen, die umso komplexer wirkten, und auf ungewöhnliche Rhythmen: Fünfachtel, Fünffünftel, Siebenachtel, Neunachtel, Elfachtel – für gewöhnliche Musiker kaum zu begreifen, für einen Schlagzeug-Virtuosen wie ihn der Lebensrhythmus. »Jaki Liebezeit brauchte nur die Musik«, sagte Kermani. Hier kann man den „späten“ Liebezeit mit Burnt Friedman in Berlin 2015 sehen und hören.
Holger Czukay, 1938 in Danzig geboren, bewarb sich 1963 am Kölner Konservatorium für Musikwissenschaften. »Da war ich ganz schön naiv, ich konnte ja gar nichts. Das habe ich dem Karlheinz Stockhausen auch gleich gesagt!« erzählte Czukay dem Spiegel-Redakteur Arno Frank; den ganzen Artikel kann man hier lesen.
Stockhausen ließ sich davon aber nicht beeindrucken und nahm Czukay unter seine Fittiche. Czukay lebte bis zum Schluss im Studio in Weilerswist. Nach der Trennung von „Can“ experimentierte er weiter mit Musik, sampelte atmosphärische Geräusche, spielte auf der ersten Platte der Eurythmics, trommelte für Peter Gabriel und inspirierte The Edge, den Gitarristen von U2.
Einen Eindruck von seiner Musik vermitteln die Stücke Persian Love und Cool in The Pool. Vor allem letzteres zeigt, wie schelmisch Czukay mit seiner Musik umging.
Grabstätten: Flur T, Grab 73, Flur TU, Grab 9; die Gräber liegen in Sichtweite.