Beerdigungsfeiern sind bekanntermaßen sehr private, intime Zusammenkünfte. Hinterbliebene zeigen ihre Gefühle, ihre Verletztheit. Als Außenstehender – und das ist der Autor dieser Zeilen – fühlt man sich mitunter wie ein ungebetener Zaungast.
Bei der Beerdigung von Renate Gruber war letzteres nicht der Fall. Vielmehr konnte man Zeuge werden eines freundschaftlichen Abschiednehmens von einer Grande Dame, der Lady Renate, wie es in der Traueranzeige hieß.
Was erfuhr man in den Trauerreden? Allein die Tatsache, dass die beiden Ansprachen – von Achim Mantscheff und Prof. Dr. Jürgen Wilhelm – sich nicht bei landläufigen Betroffenheitsformulierungen aufhielten, sondern mitten ins Leben der Grubers leuchteten, mitunter komische Begebenheiten offenbarten, wirft ein Licht auf die Verstorbene: Sie hätte das geliebt!
Renate Gruber war Anfang 20, als sie den 30 Jahre älteren L. Fritz Gruber kennenlernte. Achim Mantscheff, ein jahrzehntelanger Freund der Familie, verschwieg nicht, dass mancher damals diese Liaison naserümpfend zur Kenntnis nahm. Und dass Renate Gruber ihre Rolle als «Frau an seiner Seite» bereitwillig annahm, scheint aus heutiger emanzipationsgestählter Sicht vielleicht fragwürdig zu sein. Bei genauerer Betrachtung muss allerdings das große ABER kommen: Renate Gruber war die Organisatorin, die Netzwerkerin, die Inspiratorin, die Warmherzige. Achim Mantscheff beschreibt ihre Bedeutung einfühlsam und treffend:
«Wie ich annehme, geschah bei Renate, nachdem sie Fritz kennen gelernt hatte, folgendes: Sie sagte sich ‹Wenn schon, denn schon›, und wurde Frau Direktor, neben einem Mann, der wie nur wenige andere in seiner Zeit eine neue Nachkriegs-Lebensart verkörperte, die eine unzweifelhaft glaubhafte, internationale Kultur mit sich trugen – eine Seltenheit in der moralisch rundum kompromittierten Nachkiegssituation. Und darin traf sie ihre Entscheidung: Sie wurde sozusagen aus dem Stand heraus die elegante und stets intelligent charmierende Umflatterung eines Grandseigneurs. So hielt sie ihrem Mann den Rücken frei, listig, humorvoll, damenhaft, durchsetzungsbetont, und als eine Art Gegenprofil: Wo er durcheinandergeriet, war sie ordentlich, wo er instinktiv genialisch handelte, sicherte sie das Terrain, und am Ende der Party hatte immer sie die Visitenkarten eingesammelt.»
Ohne die Grubers hätte die Fotografie nicht den Status einer gleichberechtigten Kunst erlangt. L. Fritz Gruber organisierte die legendären Bilderschauen der Kölner Photokina über 30 Jahre, stellte dabei den amerikanischen Fotokünstler Man Ray aus, mit dem er freundschaftlich verbunden war. Auch August Sander, Erich Salomon und andere wurden von ihm kuratiert.
Renate Gruber hat sich in die Fotografie hineingearbeitet, ohne jemals selbst ein Foto gemacht zu haben. Sie baute mit ihrem Mann gemeinsam Sammlungen auf, kuratierte mit ihm die Ausstellung «Das imaginäre Photo-Museum» in der Josef-Haubrich-Kunsthalle. Sie betreute den Nachlass der Familie Gruber, der dann tragischerweise mit dem Einsturz des Kölner Stadt-Archivs stark beschädigt oder zerstört wurde. Nachtragend aber war sie nicht: Auch nach dieser Katastrophe gab sie Fotos an das Archiv ab.
Der Freundeskreis der Familie Gruber zeigt die weltoffene Weite ihrer Beziehungen: Alice Schwarzer, der Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort, die Schauspielerin Sabine Postel, der Bauturm-Architekt Peter Busmann waren unter den Trauergästen. Einen Teil der Asche hatte Bettina Gruber, die Tochter, schon vor einiger Zeit in der Lieblingsstadt der Grubers verstreut: in der Lagune von Venedig.
Jürgen Wilhelm, ebenfalls ein jahrzehntelanger Freund der Familie, erzählte in seiner anekdotenreichen Abschiedsrede von den Reisen der Grubers, insbesondere nach Paris und Venedig. Man kam nicht etwa in First-Class-Hotels unter, nein, ein Bezug zu ihrer Leidenschaft, der Fotografie, sollte schon gegeben sein. So logierte man in Paris in einem kleinen Hotel, in dem vor Jahrzehnten Man Ray gewohnt hatte; man konnte sich im Zimmer zwar kaum umdrehen, aber: Es ging um das Gefühl, das «sentiment», die Erinnerung an den Freund.
Jürgen Wilhelm beendete seine Rede mit warmherzigen Worten: «Wir verabschieden uns heute von einer Dame, einer Lady – mit einem herrlich gekieksten «absolutely», würde sie dieser Kennzeichnung zugestimmt haben – einer Dame, die eine lebenbejahende, fröhliche Philanthropin war und ihre Freunde in kultiviertester Form daran teilhaben ließ. Diese Zuneigung, die durchaus auch Distanz einschloss und deshalb Noblesse genannt werden darf, werden wir nicht vergessen. Welche Freude, sie gekannt zu haben!»
Ein letztes Zitat aus Achim Mantscheffs famoser Abschiedsrede, das den Charakter der Lady Renate zeigt: «Kann man sich zum Sterben entscheiden? Nach vielen Abschieden, die ich miterleben durfte, würde ich sagen: Ja. So auch hier – sie hatte sich entschieden. Eines Morgens rief Bettina mich an und meinte, daß Renate soeben gesagt habe, daß sie jetzt sterben werde. Kurz danach hörte sie auf, irgendetwas außer Speiseeis zu sich zu nehmen, und wurde immer durchsichtiger. Viele Freunde kamen fast täglich vorbei, allen voran Stefan, Martina und Piotr, Norbert, und viele andere, sie sprachen sie an oder lasen ihr vor. Während meines letzten Besuchs dann lag sie da, und murmelte etwas, was ich nicht verstand, sodaß ich fragend ihre Pflegerin und Vertraute Renata anschaute. Diese sagte: Jaja, das heißt ‹Chanel›. Und so war es. Sie duftete sie etwas ein, und Renate, soweit das noch möglich war, strahlte. Chanel als letztes Wort. Humorvoll, elegant: Perfekt.»